MY TURN - Frauen mit Migrationserfahrung starten durch

Konstruktiv über Einwanderung reden: Gestaltungsspielraum und Deutungshoheit

Am 11. November 2025 beleuchtete das 26. Lunch & Learn der Vernetzungsstelle MY TURN das aktuelle Impulspapier: Konstruktiv darüber reden – Fünf Fragen für zukunftsfähige Einwanderungsdebatten von More in Common Deutschland, das auf einer soziodemografisch quotierten Online-Befragung von insgesamt 2000 Menschen aus der Bevölkerung in Deutschland basiert. Zu Gast war Melissa Medina-Márquez, die an der Befragung und am Impulspapier mitgearbeitet hat und zentrale Erkenntnisse vorstellte.

Die international tätige, gemeinnützige Organisation More in Common hat sich dem Thema gesellschaftlicher Zusammenhalt verschrieben und untersucht anhand von Umfragen und Fokusgruppen die Meinungslage der Bevölkerung zu gesellschaftlichen Spannungsfeldern wie Migration, und vermittelt diese an zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, die sich für Begegnung über gesellschaftliche Trennlinien hinweg einsetzen. Dabei ist ihr Ziel, Polarisierung entgegenzuwirken und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken.

Im Zentrum der aktuellen Studie steht die Frage, wie die deutsche Bevölkerung über Einwanderung denkt. Melissa Medina-Márquez betonte, dass die Einstellungen zur Migration deutlich differenzierter seien als häufig angenommen, „aber zwei Meinungspole bringen sich mit ihren Stimmen am lautesten in die öffentliche Debatte ein.“ Viele Befragte dagegen fühlten sich von diesen Extremen jedoch nicht repräsentiert. Stattdessen ließen sich fünf zentrale Dimensionen identifizieren, von denen die Zustimmung oder Ablehnung der Menschen in Deutschland zu Einwanderung maßgeblich abhängt: Kompetenz, Kontrolle, Beitrag, Empathie und Miteinander. „Unsere Überzeugung ist: Wenn man das Thema anhand dieser fünf Aspekte angeht, kann man zu einer konstruktiven Auseinandersetzung mit dem Thema Migration beitragen“, so Medina-Márquez.

Was Menschen besonders beschäftigt: Steuerung, Kontrolle und ein sichtbarer Beitrag

Die Expertin stellte dar, dass die Kritik an Einwanderung weniger auf die Menschen selbst als auf die Rahmenbedingungen, also die Steuerung und Ausgestaltung der Migration durch die Politik, abzielt. Die Teilnehmer*innen der Studie beschäftigte dabei beispielsweise die Frage: Wie gut kann der Staat Migration managen? (Kompetenz) und wie stark behält er Kontrolle? Tatsächlich ist den Menschen laut den Studienergebnissen die Kontrolle darüber, wer nach Deutschland einwandert und wie die Einwanderung abläuft, für viele wichtiger als die bloße Reduktion der Einwanderungszahlen.

Gleichzeitig spiele ein sichtbarer Beitrag, den Zugewanderte für die Gesellschaft leisten, eine große Rolle, so Melissa Medina-Márquez. Für viele seien insbesondere die wirtschaftlichen Vorteile entscheidend, etwa in Form von ausreichenden Fachkräften in Pflege, Bildung oder Gesundheit. Für die Autor*innen der Studie lässt sich daraus ableiten: „wird die Debatte entlang von Beitragsfragen geführt, lässt sich Migration eher als Chance oder Notwendigkeit verstehen.“ Für Medina-Márquez ist es daher essenziell, dass Projekte wie MY TURN sichtbar machen, welchen positiven Beitrag zugewanderte Menschen leisten. Dies erhöhe die Zustimmung in der Bevölkerung.

Auch die anderen Faktoren spielen im Alltag vieler Menschen eine Rolle: Empathie allein reiche jedoch nicht, so Medina-Márquez, sie müsse gemeinsam mit den Dimensionen Kontrolle und Beitrag gedacht werden. Außerdem brauche ein gelungenes Miteinander nachvollziehbare Integrationsschritte. Für viele Befragte gehören das Beherrschen der Sprache, das Einhalten von Gesetzen und die Beteiligung am Arbeitsmarkt zu den Grundbedingungen des Zusammenlebens. „Das sind Integrationsschritte, die leistbar sind“, betont Melissa Medina-Márquez, „sie mögen anspruchsvoll sein, aber sie sind machbar“. Dass diese Leistungen von der Gesellschaft gesehen und anerkannt werden, mache Hoffnung. Gleichzeitig müssten Ängste und Unsicherheiten aber auch ernst genommen werden.

Insgesamt zeigten die Forschungsergebnisse, dass die deutsche Bevölkerung 2025 weitaus komplexer über Einwanderung denkt, als es oft in der öffentlichen Debatte dargestellt wird. Der Großteil der Befragten wünsche sich eine respektvollere, sachlichere Diskussion, jenseits von Polarisierung. Der Schlüssel dazu könne darin liegen, Migration entlang der fünf herausgearbeiteten Dimensionen zu adressieren: ein konstruktiver Dialog, der Kompetenz, Kontrolle, Beitrag, Empathie und Miteinander in den Mittelpunkt stellt, als Erfolgsfaktor für Zusammenhalt der Gesellschaft.

Austausch und praktische Perspektiven aus den Projekten

Im anschließenden Erfahrungsaustausch fragten sich die Teilnehmenden, wie Dialoge im Projektalltag oder im persönlichen Umfeld konstruktiv(er) gestaltet werden können. Melissa Medina-Márquez teilte hierzu Impulse aus der Zusammenarbeit mit der Partnerorganisation metro_polis aus Sachsen. Die Kernbotschaft lautete: „Wir sind das einzige Element, das wir im Gespräch mit anderen ändern können.“ Wichtig sei daher, die Erfahrungen hinter den Aussagen des Gegenübers anzuerkennen und verstehen zu wollen, welche Bedürfnisse oder Sorgen dahinterstehen. Brücken zu bauen und im Gespräch zu bleiben, auch wenn es schwierig wird, sei entscheidend, um Polarisierung zu vermeiden. Medina-Márquez appellierte, dass man den Menschen vor sich sehen sollte, nicht nur die Meinung.

Gleichzeitig berichteten Projektvertreterinnen, wie herausfordernd dies im Arbeitsalltag sein kann: Wenn Frauen trotz großer Anstrengungen Hürden und Ausgrenzung von Dritten erleben, werden solche Gespräche emotional belastend. In solchen Momenten sei es bereits ein Erfolg, freundlich und offen zu bleiben.

Kommuniziert wurde in der Diskussion auch der klare Wunsch an die Politik, Debatten differenzierter zu führen und zentrale Integrationsfaktoren wie Sprachkurse und Zugang zum Arbeitsmarkt verlässlich abzusichern. Erfolgreiche Integration, die es Menschen ermöglicht, einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten, brauche stabile Rahmenbedingungen und verlässliche Finanzierungen.

Doch insgesamt überraschte die Ausdifferenziertheit der Einstellungen, wie sie die Studie belegt, viele Teilnehmende des Lunch & Learn– gerade, weil die eigenen Alltagserfahrungen häufig andere, eher negative, Eindrücke vermitteln. Zugleich machten die Erkenntnisse den digital Zugeschalteten Mut: Sie zeigen, dass die gesellschaftliche Debatte offener und vielfältiger ist, als die lauten Stimmen vermuten lassen.

Fazit: Beiträge sichtbar machen, Debatte mitgestalten

Das Lunch & Learn machte deutlich, dass konstruktive Debatten über Einwanderung dort entstehen, wo einerseits Begegnungen stattfinden und andererseits konkrete Beiträge sichtbar werden. Die von MY TURN geförderten Projekte leisten hierzu einen wesentlichen Beitrag: Sie öffnen Wege in den Arbeitsmarkt und stärken Teilhabe. Dabei liegt ihr Mehrwert nicht nur in individuellen Erfolgen, sondern auch darin, Erfolgsgeschichten sichtbar zu machen und damit den gesellschaftlichen Dialog über Einwanderung mit realen, alltagsnahen Beispielen zu bereichern und zukunftsorientiert mitzugestalten. Auch wenn Herausforderungen und Widerstände bestehen, lohnt es sich, an dieser Arbeit dranzubleiben. Denn durch kontinuierliche Sichtbarkeit positiver Beiträge und gelingender Integration können gesellschaftliche Einstellungen nachhaltig positiv beeinflusst werden.

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