Wie geflüchtete Frauen ihren Weg in Erwerbsarbeit und Qualifizierung finden und welche Barrieren diesen Weg pflastern, diese Fragen standen im Mittelpunkt des letzten Lunch & Learn der Vernetzungsstelle MY TURN in der aktuellen Förderphase. Unter dem Titel „Auf Umwegen in Erwerbsarbeit?“ stellte Dr. Katrin Menke (Ruhr-Universität Bochum) aktuelle Forschungsergebnisse sowie Perspektiven aus Arbeitsvermittlung und Praxis vor. Seit vielen Jahren forscht die Soziologin zu Arbeit, Migration und intersektionalen Ungleichheiten und zeigt auf Grundlage zahlreicher Interviews mit der Arbeitsverwaltung und geflüchteten Frauen die vielfältigen Herausforderungen der Zielgruppe auf.
Erwerbsbeteiligung und Motivation – ein widersprüchliches Verhältnis
Zu Beginn ihres Beitrags machte die Expertin deutlich, dass die Erwerbsbeteiligung geflüchteter Frauen trotz ihrer hohen Motivation weiterhin deutlich hinter der von Männern zurücksteht. Während im Jahr 2024 rund drei Viertel der geflüchteten Männer erwerbstätig waren, lag die Quote der Frauen bei lediglich einem Drittel. Dieser Unterschied lässt sich nicht auf mangelnde Arbeitsmarktorientierung zurückführen, sondern vielmehr auf strukturelle Hürden wie fehlende Kinderbetreuung, den späteren Zugang zu Integrations- und Sprachkursen oder eine geringere Anerkennung bereits vorhandener Kompetenzen. Hinzu kommen gesellschaftliche und institutionelle Zuschreibungen, die Frauen eher in ihrer familiären, kümmernden Rolle sehen als in einer beruflichen.
Vor allem vor dem Hintergrund, dass Erwerbsarbeit für viele geflüchtete Frauen nicht nur wirtschaftliche Selbstständigkeit schafft, sondern auch Voraussetzung für einen sicheren Aufenthalt sein kann, ist der Abstand zu den männlichen Geflüchteten sehr besorgniserregend.
Dennoch dürfe nicht von „den geflüchteten Frauen“ als einer einheitlichen Gruppe gesprochen werden. Herkunft, Bildungswege und aufenthaltsrechtliche Regelungen führen zu unterschiedlichen Voraussetzungen und Chancen.
Wie vorgefertigte Bilder die Vermittlung beeinflussen
Ein Schwerpunkt des Inputs lag auf der Frage, wie öffentliche Diskurse und institutionelle Routinen den Zugang geflüchteter Frauen zum Arbeitsmarkt prägen. Vorstellungen über „unqualifizierte Geflüchtete“ oder vermeintlich „kulturell“ bedingte Geschlechterrollen wirken bis in Beratungs- und Vermittlungsgespräche der Arbeitsverwaltung hinein, wie Katrin Menke erläuterte. In politischen Debatten, in denen Zuwanderung als Lösung für den Fachkräftemangel hervorgehoben wird, finden Frauen bisher kaum Erwähnung. Migrant*innen werden dort überwiegend als männlich und qualifiziert imaginiert. Diese verzerrten Bilder tragen aus Sicht der Forscherin dazu bei, dass Frauen mit Fluchtgeschichte seltener als potenzielle Fachkräfte gesehen werden.
Gleichzeitig verweist die Expertin darauf, dass der deutsche Arbeitsmarkt weiterhin geschlechtsspezifisch strukturiert ist. Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit, sind seltener in Führungsfunktionen vertreten und verdienen im Durchschnitt weniger. Solche Ungleichheiten verstärken sich, wenn rassistische Zuschreibungen hinzukommen. Die Soziologin versteht Rassismus dabei nicht als individuelles Fehlverhalten aufgrund „rechter Einstellungen“, sondern als gesellschaftlich erlerntes Denkmuster, das in der Gesellschaft gleichermaßen wie in Institutionen wie dem Jobcenter wirksam wird. Für die Praxis bedeutet dies, dass berufliche Ambitionen geflüchteter Frauen oft unterschätzt oder gar gebremst, vorhandene Qualifikationen übersehen oder vorschnell als nicht verwertbar eingestuft werden. Hinzu kommen stereotype Annahmen, etwa, dass (Ehe-)Partner das Arbeiten verbieten würden oder dass ein Hijab ein Hindernis für die Vermittlung ist. Menkes Forschung zeigt, dass solche Sichtweisen meist weniger den Aussagen der Frauen oder der Rückmeldung von Arbeitgebern selbst entsprechen als vielmehr den Erwartungen der beratenden Personen.
Strukturelle Herausforderungen in der Arbeitsverwaltung
Im Rahmen der Interviews mit Vertreter*innen der Arbeitsverwaltung wurde zudem deutlich, dass nicht nur individuelle Einstellungen, sondern auch organisatorische Rahmenbedingungen den Zugang der Frauen zum Arbeitsmarkt beeinflussen. Die Aufnahme der ukrainischen Geflüchteten ins SGB II führte zu einer deutlichen Mehrbelastung und zunächst teilweise auch zu Unklarheiten in der Zuständigkeit. Während sich Beauftragte für Chancengleichheit der Jobcenter vor allem für geschlechtsspezifische Fragen engagierten, konzentrierten sich Integrationsbeauftragte oft stärker auf Männer. Diese parallelen Zuständigkeiten führten, so Menke, im Fall geflüchteter Frauen teilweise zu einer Situation der faktischen „Nichtzuständigkeit“.
Impulse aus der Diskussion
Die anschließende Diskussion bot die Gelegenheit, die vorgestellten Forschungsergebnisse um Perspektiven der MY TURN-Projekte zu erweitern. Thematisiert wurden unter anderem die stark variierenden regionalen Arbeitsmarktchancen, Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Regionen in der Wahrnehmung hijabtragender Frauen sowie die zentrale Bedeutung verlässlicher Sprachangebote, deren Zugang durch aktuelle politische Entscheidungen jedoch zunehmend erschwert wird. Gleichzeitig berichteten mehrere MY TURN-Vertreterinnen von positiveren Erfahrungen mit den Beauftragten für Chancengleichheit der Jobcenter als jene, die in Menkes Interviews zum Ausdruck kamen. Das zeigt, dass die Umsetzung auf lokaler Ebene unterschiedlich ausfallen kann und dass eine enge Zusammenarbeit mit den Jobcentern die Sensibilisierung für die Bedarfe der Zielgruppe wesentlich fördert.
Warum Programme wie MY TURN unverzichtbar sind
Abschließend wurde deutlich, dass gelingende Arbeitsmarktintegration nicht allein eine Frage individueller Motivation oder Anstrengung ist, sondern grundlegender struktureller Bedingungen, die sich nicht von heute auf morgen verändern lassen. Genau hier setzt MY TURN an: Die Projekte adressieren Frauen als kompetente Akteurinnen, machen ihre Ressourcen sichtbar und begleiten sie mit sozialarbeiterischer und arbeitsmarktorientierter Expertise auf ihrem beruflichen Weg. Katrin Menke hob hervor, dass solche empowernden, diversitätssensiblen Angebote einen spürbaren Unterschied machen, insbesondere, wenn sie Zugänge zu Kinderbetreuung, Sprachkursen und passgenauen Qualifizierungen sichern. Sie schloss ihren Vortrag mit dem eindringlichen Appell an die MY TURN-Projekte, diese Arbeit fortzuführen, denn die bedarfsgerechte Begleitung der Frauen mache „einen ganz entscheidenden Unterschied“, wie weitere wissenschaftliche Arbeiten belegen.