MY TURN - Frauen mit Migrationserfahrung starten durch

MY TURN im ländlichen Raum:

Herausforderungen und Chancen der Beratung und Begleitung von Migrantinnen abseits großer Städte

In ländlichen Räumen lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung und sie machen den größten Teil der Fläche der Bundesrepublik aus. Und so richten sich viele MY TURN-Projekte auch an Migrantinnen, die auf dem Land leben, zum Beispiel in Kleinstädten oder Dörfern. Im Vergleich zu Projekten in größeren Zentren finden Projekte im ländlichen Raum jedoch unter anderen Bedingungen statt. Das bedeutet für sie besondere Herausforderungen – aber auch besondere Chancen.

Raus aus dem Büro: Frauen erreichen, wo sie sich aufhalten

Typisch für ländliche Regionen sind weite Entfernungen, häufig schlechte öffentliche Verkehrsanbindungen und eine oft dünne Infrastruktur. Da die Erreichbarkeit der MY TURN-Projekte dadurch erschwert wird, müssen bei Angeboten im ländlichen Raum immer auch Mobilitätslösungen mitgedacht werden – zum Beispiel in Form von mobilem Beratungspersonal.

Marianne Vásquez-Coello, Mitarbeiterin im Projekt „MigraFita – Migrantinnen fit für den Arbeitsmarkt“ der Volkshochschule (VHS) Hofer Land, erzählt, dass sie und ihre Kollegin mit ihren Autos aus der Stadt Hof heraus ins Umland fahren und dort bei anderen Organisationen und Projekten andocken. „Wichtige Partner und Orte im Landkreis, wo wir Frauen erreichen, sind bspw. das Jobcenter, das Integrationsbüro einer Gemeinde, eine weitere VHS sowie eine Stadtbibliothek. Hier informieren wir vor Ort über MY TURN, aber bieten bspw. auch unser Kommunikationstraining an“, so Vásquez-Coello. An einigen dieser Orte wird das Projekt „Kita Einstieg im LK Hof“ umgesetzt, ein Projekt zur kindlichen Frühförderung. „Hier nutzen wir die Gelegenheit, dass die Kinder betreut werden und bieten den Müttern die Möglichkeit, währenddessen Beratungsgespräche wahrzunehmen.“ Vásquez-Coello sagt: „Wenn die Frauen nicht zu uns kommen können, kommen wir zu ihnen.“

Im Projekt „Evita – Empowerment, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Integration in den Arbeitsmarkt für zugewanderte Frauen“ kommt in der Region rund um Düren ein Beratungsbus zum Einsatz, der aus einem Fördertopf der Allgemeinen Sozialberatung der Diakonie finanziert wird. Projektkoordinatorin Clara Niessen-Feulner berichtet, dass die Projektmitarbeiterinnen mit dem Bus meist zu zweit an verschiedene Orte fahren. Sie halten dort, wo sie mit Migrantinnen in Kontakt kommen können. Sie fahren zum Beispiel zu Gemeindehäusern in der Umgebung, zu Kindergärten und Schulen oder zu Sommerfesten. Dort angekommen, bauen die Projektmitarbeiterinnen einen Stand mit Informationsmaterial auf. Da viele der Frauen Mütter sind, müsse man auch die Kinder berücksichtigen, wenn man mit den Frauen ins Gespräch kommen möchte, sagt Niessen-Feulner. „Wir haben immer Spiele dabei und organisieren oft gezielte Aktivitäten für die Kinder.“ Bei den Gesprächen mit interessierten Migrantinnen werden die Angebote des MY TURN-Projekts vorgestellt und häufig auch gleich Fragen zu Erreichbarkeit und Mobilität thematisiert.

Flexible Präsenz: Mehrere Standorte und passgenaue Zeiten

Nicht immer haben die Projektmitarbeitenden die Möglichkeit, ihr Büro zu verlassen und in ländlichen Gebieten vor Ort zu sein. Einige gleichen jedoch das Problem der schwachen Infrastruktur auf dem Land durch eine feste Präsenz an verschiedenen Standorten aus. Antje Bobach, Leiterin von „MISA BLK - Migrantinnen stark machen für den Arbeitsmarkt im Burgenlandkreis“, berichtet, dass sie und ihre Kolleg*innen in drei Büros tätig sind, und zwar in den drei Mittelstädten Naumburg, Zeitz und Weißenfels. „So können wir die Frauen in diesen drei Städten erreichen“, sagt Bobach, „aber auch diejenigen, die in der Nähe der jeweiligen Zentren leben“. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Projekts bieten neben festen Sprechzeiten auch Termine nach Vereinbarung an, sodass die Beratungszeiten so gelegt werden können, dass die Frauen die Möglichkeit haben, die jeweiligen Beratungsstellen entsprechend ihrer zeitlichen Verfügbarkeiten gut erreichen können.

Eine ähnliche Strategie verfolgt das Projekt „WAVE – Beratungsstelle für Frauen mit Migrationserfahrung“ im Landkreis Aurich. Dort wird die Planung der Angebote gezielt an die örtlichen Busverbindungen angepasst, um eine gute Erreichbarkeit zu sichern und den Teilnehmerinnen eine unkomplizierte und verlässliche Teilnahme an den Veranstaltungen zu ermöglichen, wie Projektleiter Frank Lenz erklärt.

Sicher unterwegs: Mehr erreichen durch Mobilitätstraining

Damit Migrantinnen sicherer im Straßenverkehr unterwegs sind, mehr Selbstständigkeit im Alltag erlangen und somit aktiver am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können, bietet das Projekt „WAVE“ auch ein Mobilitätstraining an.

Im theoretischen und praktischen Unterricht lernen die Teilnehmerinnen unter anderem, sich im Straßenverkehr zu orientieren, Fahrrad und öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen und mögliche Gefahren im Straßenverkehr frühzeitig zu erkennen. Besonders wichtig ist dabei auch die Zusammenarbeit mit dem Leiter des Verkehrssicherheitsforums des Landreises Aurich und der örtlichen Polizei. „Das nimmt den Frauen die Angst, die sie aufgrund ihrer Fluchterfahrungen oft vor Polizisten oder generell vor staatlichen Institutionen haben“, sagt Projektmitarbeiterin Andrea Knaup, „und es stärkt zugleich ihr Vertrauen“. Die Trainings führen dazu, dass sich die Frauen sicherer, unabhängiger und selbstbewusster im öffentlichen Raum bewegen.

Digital verbunden trotz ländlicher Lage

Die Internetanbindung ländlicher Gebiete in Deutschland ist nach wie vor eine große Herausforderung. Auch wenn viele ländliche Regionen in dieser Hinsicht oft schlechter versorgt sind als Städte, machen Projekte dennoch positive Erfahrungen damit, ihre Angebote in sozialen Netzwerken zu bewerben und mit den Teilnehmerinnen trotz räumlicher Distanz in Kontakt zu bleiben. So konnten sie Teilnehmerinnen beispielsweise über Facebook gewinnen, die sie sonst nicht erreichen würden, berichtet Antje Bobach.

In den Projekten „WAVE“ und „MigraFita“ wird beispielsweise der Kontakt zu den Teilnehmerinnen auch über Messaging-Dienste gehalten und sie werden darüber auch bei kurzfristigen Anliegen niedrigschwellig unterstützt. Die Projektakteure sind sich einig: Diese digitalen Kanäle sind effektive Kommunikationsmittel, die auch von Frauen mit noch geringer digitaler Kompetenz oder einer schlechten Internetverbindung genutzt werden können.

Lokale Netzwerke: Kooperationen sind der Schlüssel

Gerade im ländlichen Raum, wo die Bevölkerungsdichte geringer ist und öffentliche Strukturen oft ausgedünnt sind, sind lokale Netzwerke noch wichtiger als in der Stadt. Daher kooperieren die MY TURN-Projekte intensiv mit lokalen Akteuren wie den Trägern der Freien Wohlfahrtspflege, Stadtbibliotheken, Bildungsträgern oder ehrenamtlichen Initiativen. Ein Praxisbeispiel, über das die Projekte positiv berichten, ist die Nutzung von Räumlichkeiten der Partner, um Sichtbarkeit und Präsenz zu zeigen, ohne dass zusätzliche Mietkosten anfallen.

So kooperieren auch viele Projekte mit lokalen Migrant*innenorganisationen, indem sie beispielsweise deren (informelle) Treffpunkte aufsuchen, an Veranstaltungen teilnehmen oder bei Angeboten zusammenwirken. Ganz gleich, ob es sich um Neuankömmlinge wie geflüchtete Frauen aus der Ukraine handelt oder um Migrantinnen, die schon seit einigen Jahren in Deutschland zu Hause sind – solche Begegnungen, so berichten die Projektakteure, sind wichtig, um ein Gefühl der Gemeinsamkeit und damit der Zugehörigkeit zu schaffen. Dies sei die Basis für eine langfristige Arbeitsperspektive im ländlichen Raum.

Kurze Wege: Vielfältige Angebote unter einem Dach

Persönliche Kontakte und unkomplizierte Absprachen ermöglichen sogenannte „kurze Wege“. Wo beispielsweise Projektbüros mit Beratungsstellen, Behörden oder Weiterbildungseinrichtungen im selben Gebäude untergebracht sind, entsteht ein Unterstützungssystem, das schnelle Vermittlungen und flexible Lösungen ermöglicht.

So zum Beispiel im Projekt „MigraFita“. Unter dem Dach der VHS befinden sich viele unterschiedliche Angebote, wie das Integrationszentrum des Landkreises mit 12 verschiedenen Integrationsprojekten, darunter auch Sprachkurse für Migrantinnen und ein Projekt, das im Rahmen des Programms WIR umgesetzt wird. Auch das MY TURN-Projekt „MISA BLK“ berichtet von den Vorteilen der „kurzen Wege“. In diesem Fall ist die Migrationsagentur, die das Projekt durchführt, eine Art Querschnittsbehörde im Burgenlandkreis, die so konzipiert ist, dass sie zugewanderte Menschen auf mehreren Ebenen unterstützen kann – gemeinsam mit Akteuren wie dem Jugendamt, der Volkshochschule, der Agentur für Arbeit, dem Kreissportbund und dem Forum Ehrenamt. Unter diesen Bedingungen können Synergien bestmöglich genutzt werden.

Kommunal vernetzt: Politik als Partner

Auch ein enger Kontakt zur Kommunalpolitik ist in ländlichen Gebieten häufig leichter aufzubauen und zahlt sich aus. So berichten die Projektkoordinatorin von „Evita“, Clara Niessen-Feulner, und der Projektleiter von „WAVE“, Frank Lenz, von Kontakten zu den lokalen Gremien und den jeweiligen Bürgermeistern in Düren (Nordrhein-Westfalen) und Norden (Niedersachsen). In den Kommunen haben die Projekte einen validen Partner, und ihre Arbeit findet Eingang in die lokalen Integrationskonzepte.

Fazit: Erfolgreiche Begleitung auf dem Land ist möglich

Die Arbeit von MY TURN im ländlichen Raum zeigt: Erfolgreiche Projektarbeit und die Unterstützung von Migrantinnen auf ihrem Weg in den Arbeitsmarkt sind auch jenseits der Ballungszentren möglich. Entscheidend sind eine starke lokale Vernetzung, kreative Mobilitätslösungen und eine bewusste Gestaltung des sozialen Miteinanders. Die Uhr mag anders ticken – doch mit Engagement, Kooperation und Pragmatismus können auch in abgelegenen Regionen soziale Teilhabe und stabile Arbeitsmarktperspektiven für zugewanderte Frauen geschaffen werden.

Wenn Sie mehr über die vorgestellten Projekte erfahren möchten, gelangen Sie hier zu den Projektsteckbriefen: 

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